Da hat Linn aber in den letzten Jahren in Sachen Analog ordentlich Gas gegeben: Ein von Grund auf durchrenovierter LP12, ein neuer Ekos-Tonarm, eine neue Phonostufe und jetzt – als Abschluss ganz vorne in der analogen Kette – ein neues Referenz-System
Mitspieler
Plattenspieler:
Transrotor Zet-1 mit SME 5012
Linn LP12 Majik mit Ekos SE
Phonoverstärker:
Clearaudio Balance+
Quad Twentyfour
Phono Verstärker:
Accuphase E-260
Magnat RV-3
Lautsprecher:
Canton Reference 9.2
Audio Physic Classic 20
Zubehör
Netzleisten von PS-Audio und Supra
NF-Kabel: Van den Hul, Silent Wire
Lautsprecherkabel: Silent Wire
Racks und Basen: SSC, Liedtke, Thixar, bFly
Pucks und Matten: Harmonix, bFly, Acoustic Solid
Gegenspieler
Tonabnehmer:
Van den Hul The Crimson
Shelter 901 Mk III
Ortofon MC-30
Supex SD-900
Audio Technica AT-25
Rund zwei Jahre Entwicklungszeit stecken im neuen Linn Kandid. Linn- Entwickler David Williamson spricht davon, dass damit für den Moment eine Entwicklungsstufe erreicht ist, mit der man bei Linn vollauf zufrieden ist – da ich die einzelnen Komponenten schon alle gehört habe, will ich dies auch gern unterschreiben.
Nun also noch der Tonabnehmer, der – man kann es bei ausreichender Sachkenntnis auch an Details erkennen – bei Lyra in Japan gefertigt wird. Das ist jetzt nicht so sensationell, wie es klingt: Diese Kooperation besteht schon viele Jahre zur beiderseitigen Zufriedenheit – und der des Kunden, nicht zu vergessen. Linn hat es auch gar nicht nötig, die Zusammenarbeit zu verschweigen – da habe ich schon weitaus mehr Geheimniskrämerei in der Branche erlebt. Und Lyra ist ja auch wahrlich nicht die schlechteste Adresse in Sachen Edel- Tonabnehmerbau. Der Hauptunterschied zu allen Vorgängermodellen ist die nackte Bauweise – nur noch Trägerplatte mit Generator, sonst nichts. Dies trägt zur angestrebten leichten Bauweise bei wie das Joch, das aus Kunststoff besteht, und die ebenso aus Kunststoff gefertigte vordere Halteschraube. Ein leichtes System ermöglicht es, das Gegengewicht des Tonarms möglichst nah an die Drehachse zu bringen, was seine Masseträgheit deutlich reduziert. Durch eine behutsame Anpassung des Generator-Neigungswinkels von 23 auf 20 Grad stehen die Spulen jetzt perfekt zum Magnetfeld ausgerichtet, was dabei hilft, Verzerrungen zu minimieren. An der fest angelöteten Verkabelung erkennt man, dass Linn immer noch der Meinung ist, das Linn-Komponenten am besten mit anderen Linn-Komponenten verbunden werden müssen. Sprich: Die Käbelchen, die baugleich mit denen am Headshell des Ekos SE sind, werden gegen diese getauscht, so einfach geht das. Bei Tonarmen mit durchgehender Innenverkabelung wird man sich dagegen erst einmal schwer tun – hier hilft nur eine (nicht zu bevorzugende) Adapterlösung mit unnötig vielen Kontaktstellen oder aber: Stecker ab und löten. Die Montage am Ekos hat den nicht zu unterschätzenden Vorteil der Dreipunktmontage, die einen absolut festen Sitz des Tonabnehmers garantiert und jede weitere Justagearbeit unnötig macht – die Geometrie ist vorgegeben und passt – ich hab´s mit einer Schablone überprüft. Auf dem recht kurzen Bornadelträger sitzt ein eingepresster Diamant mit einem ziemlich scharfen Line-Contact-Schliff – die Ausgangsspannung liegt bei gesunden 0,4 mV. Ein weiterer Hinweis darauf, dass man etwas mehr Spulendraht verwendet hat, ist der empfohlene Lastwiderstand von 70 Ohm oder größer. Dadurch, dass die Trägerplatte des Kandid und das Headshell des Ekos SE exakt die gleiche Sorte Aluminium verwenden, bilden sie eine Einheit, die Resonanzen optimal vom Tonabnehmer ableitet. Ich habe das Kandid auch an anderen Tonarmen probiert – ganz ehrlich gesagt: Am Ekos geht es auf Anhieb am besten. Dazu muss dieser nicht einmal auf einem LP12 montiert sein – auch an meinen alten Japan- Schätzchen und diversen Masselaufwerken macht die Arm-System-Kombination eine Menge Spaß. Was zeichnet das Linn Kandid also vor anderen Tonabnehmern aus? Nun, es ist diese große Klarheit des Systems, das jeden Hörer für sich einnimmt. Nehmen wir die ersten Takte des zweiten Rachmaninoff- Konzerts, das mir in einer durchwachsenen Aufnahme vorliegt, bei der aber das Klavier – im Gegensatz zum vernachlässigten Orchester – sehr gut eingefangen wurde: Die rollenden Klavierläufe beim ersten Orchestereinsatz zeigen einen stahlharten Anschlag und einen mächtig grollenden Konzertflügel, bei dem man trotzdem jede Saite einzeln heraushören kann – wie eine polierte Metalloberfläche, so makellos und sauber in der Wiedergabe. Anderes Beispiel: Clara Haskil hat in ihrem Leben nur ganz wenige Werke von Beethoven für Schallplatte aufgenommen – die Aufnahme der Sonaten 17 und 18 ist aber bemerkenswert. Auf der ersten Seite gelingt ihr eine schon ziemlich gute Interpretation der „Sturmsonate“, während die sagenhafte Lebendigkeit und Spielfreude bei der 18. diesen Flohmarktfund aus dem Stand auf den Status meiner neuen Lieblingsplatte katapultiert haben. Delikateste Triller und die ganz große Pranke: Clara Haskil spielt den Flügel in seiner ganzen tonalen Bandbreite. Vor allem im Schlusssatz, der mir ein bisschen wie die Vertonung eines eingängigen Kinderliedes vorkommt, mit seiner ganzen Verspieltheit und unerschöpflichen Energie zeigen Pianistin und System eine einmalige Energieleistung. Großorchestrale Werke wie Haydns Schöpfung in der Aufnahme mit Karl Münchinger werden zu einem echten Erlebnis mit ihren klar gestaffelten Instrumentalgruppen und sorgfältig platzierten Sängern, die zudem extrem gut zu verstehen sind. Und das gilt sogar für Wagneropern, bei denen man ja schon fast traditionell seine liebe Not hat, dem Text ohne Libretto zu folgen. Sie merken es schon: Mit dem Kandid habe ich mich ein bisschen in meiner Klassiksammlung verlaufen – ich kann aber nichts dafür: Mit so viel Klarheit und Transparenz konnte ich die Scheiben noch nicht hören. Und dass einem die Dynamik dann auch noch des Öfteren den Atem verschlägt, macht es natürlich noch besser. Tatsächlich geht es auf modernen Pop- und Rockproduktionen, selbst wenn sie der härteren Gangart frönen, in dieser Hinsicht deutlich weniger zur Sache: Man komprimiert im Masteringprozess eben fröhlich vor sich hin. Und selbst, wenn das insgesamt immer noch überzeugend ist, wie die aktuellen Werke der Rockdinosaurier Deep Purple und Black Sabbath, dann merkt man irgendwie schon, wie viel dynamische Reserven im Kandid noch stecken. Mit einer weniger auf Mainstream gebürsteten Platte strahlt das Linn dann wieder: Es rockt und groovt, dass kein Auge trocken bleibt. Die technischen Maßnahmen, die bei der Konstruktion getroffen wurden, mögen nicht spektakulär aussehen, in der Summe ergeben sie einen der spektakulärsten Tonabnehmer, die ich jemals gehört habe – und das nicht in einer Einzeldisziplin auf Kosten anderer Qualitäten, sondern in seiner Gesamtheit.
Fazit
Das Linn Kandid bekommt von mir eine dicke Empfehlung. Es macht alles richtig, es macht alles richtig gut – somit gehen auch mal 3.500 Euro für einen Tonabnehmer voll in Ordnung.