Lautsprecher Rosso Fiorentino Certaldo S2

Wie beginnen Liebesgeschichten? Mit einer zufälligen Begegnung und einer geplanten zweiten. So ging es mir mit den Rosso Fiorentino Certaldo S2 Lautsprechern. Und ich fürchte, ich bin verliebt.

Begegnungen

Lange Jahre habe ich Rosso Fiorentino sozusagen nur aus den Augenwinkeln wahr genommen, registriert, dass es sie gibt, mehr nicht. Doch dann stand mit der ELBA 2 mit einem Mal ein Lautsprecher vor mir und produzierte Töne, die mich überraschten und sehr berührten. Zumal der Lautsprecher erst einmal recht konventionell daher kam, abgesehen von seinem wenig konventionellem Äußeren. Ich konnte ihn einfach nicht vergessen und das bedeutet etwas bei der Fülle von Schallwandlern, mit denen ich mich beschäftigen darf. Nun steht mit der Certaldo S2 ein weiteres Modell aus der Toskana vor mir und das macht die Sache nicht besser, denn auch dieses Modell ist ganz besonders.   

Herkunft

Das namensgebende Certaldo ist ein kleiner Ort in der Toskana, die für alle Modelle Pate steht. Certaldo mag klein sein, ist aber alles andere als unbedeutend, denn es ist der Geburts- und spätere Wohnort des legendären italienischen Schriftstellers Giovanni Boccaccio (1313-1375). Falls Sie sich gerade nicht erinnern - Decamerone ist sein Hauptwerk.

Rasch mal Wikipedia zitiert, was in diesem Fall nicht verwerflich, weil korrekt ist: “Sein Hauptwerk, das einhundert Novellen umfassende Decamerone, porträtiert die facettenreiche Gesellschaft des 14. Jahrhunderts und erhebt ihn zum Begründer der prosaischen Erzähltradition in Europa.“   

Prägung und Schwingung

Francesco Rubenni, Besitzer und Chefentwickler von Rosso Fiorentino, ist durch und durch Toskaner. Bevor er seine Firma gründete, war der studierte Audio-Ingenieur in verschiedenen Tonstudios tätig und hat Neutralität als sein wichtigstes Entwicklungsziel definiert. Das finde ich spannend, denn als besonders neutral, sprich mit einer Tendenz zum Nüchternen, empfinde ich seine Rosso Fiorentino Lautsprecher überhaupt nicht. Aber das mag vielleicht sein toskanischer Anteil sein. Wie gestaltet der Mann also seine Lautsprecher, um diese toskanische Neutralität zu erreichen? Er setzt vor allem an den Gehäusen an, denen er jedwedes Mitschwingen austreibt. Die Lösung dafür ist aufwendig, kommt ursprünglich aus dem Maschinenbau und nenn sich „CLD“ (Constraint Layer Damping). Diese Methode soll Schwingungen minimieren oder sogar komplett unterdrücken. Dazu werden unterschiedliche Materialien in Sandwichbauweise effektiv miteinander kombiniert. Rubennis Lösung ist natürlich elegant: eine zweiteilige Schallwand aus fünf Millimeter starkem Aluminium trägt die Chassis. Dazu kommen ein Korpus aus HDF mit eingeschlossenen Marmorpartikeln, der außen hochglanzlackiert ist, eine Gummischicht sowie weitere Alumiumplatten. Das Ganze ist teilweise mit Leder belegt und so geschickt miteinander verbunden, dass die Gehäuse wie aus einem Guss wirken. Dazu trägt auch bei, dass man frontseitig keinerlei Verschraubungen sieht. Die Schallwand wird innen mit langen Stahlschrauben mit der Rückwand verschraubt, was man an den versenkten Schraubenköpfen auf der Rückseite ablesen kann. So wird das Gehäusesandwich zusätzlich versteift und final beruhigt. Innen wird der Ansatz fortgeführt: Fasermaterialien unterschiedlicher Dichte, „Absorptionszonen“ (da wollte sich Rubenni nicht in die Karten schauen lassen) für unerwünschte Tiefmitteltonresonanzen und Resonatoren, wie man sie auch in der Raumakustik einsetzt machen den Job.   

Abstimmungskunst

Mittel- und Tieftöner der Certaldo S2 sind identisch, das macht zum Beispiel auch Dynaudio so. Francesco Rubenni schrieb mir, dass bei einem 13er, besser einem 13cm durchmessenden Chassis, die Unterschiede zwischen Mittel- und Tieftöner vernachlässigbar seien, das ändere sich erst bei größeren Membrandurchmessern. Seine für ihn gebauten Treiber haben eine gute Tieftonansprache, können Leistung ab, verfügen aber auch über einen wunderbar freien Mittenton, kurzum sie sind für diese Anwendung perfekt geeignet. Der Mitteltöner, der auch Bass darf, sitzt in seiner eigenen Kammer und teilt sich mit dem  

Tiefe

Die Tieftonabstimmung der Certaldo S2 ist dieselbe wie bei der ELBA S2: eine eher ungewöhnliche, doppelte Bassreflexlösung mit unterschiedlich großen Ports.

Man kann die Certaldo S2 als Zweiwegelösung mit integriertem Subwoofer und somit als Zweieinhalbwege-Konstruktion betrachten. Die unteren beiden Woofer agieren wie einer, da sie in Serie geschaltet sind und entlasten den oberen mit ihrer Membranfläche. Sie arbeiten ebenfalls in ihrer eigenen Kammer und können tatsächlich wie ein Subwoofer verstanden werden, da sie sich schon bei 200Hz zurück ziehen. Zum Boden hin ist ihnen eine große, aluminiumverstärkte Bassreflexöffnung zugeteilt, die stark bedämpft ist. Die beiden Tieftöner sind dann parallel mit dem Tiefmitteltöner verschaltet, was dermaßen gut und bruchlos funktioniert, dass die Certaldo S2 über das gesamte Frequenzband vollkommen bruchlos agiert und das sowohl flüsterleise als auch richtig laut. Ihre Impedanz bleibt stabil und fällt nie unter 5 Ohm, wodurch die Certaldo S2 leicht anzutreiben ist.  

Weiche und Anschlüsse

Auf der Weiche findet man praktisch nur leckere Sachen wie für Rosso gebaute Clarity Caps und Spulen, die sie mit besonderen Wickeltechniken selbst herstellen.  Die Single-Wiring-Anschlüsse auf der Rückseite fallen sofort ins Auge, weil sie nicht aus dem Teileangebot typischer Anbieter stammen und das hat seinen Grund, denn sie werden von Rosso Fiorentino selbst hergestellt. Sie bestehen im Kern aus hochreinem Elektrolytkupfer, das mit Rhodium beschichtet und 100% nickelfrei ist. Die Entscheidung, eigene Anschlussbuchsen zu fertigen, fiel vor vielen Jahren bei einem Quervergleich mit Produkten unterschiedlicher Hersteller, bei denen keines den Ansprüchen von Rubenni und seinem Team genügte.   

Klingt das?

Und wie. Ich lasse einfach mal lecker Trentemöllers „The Last Resort“ durchlaufen und stelle nicht nur fest, dass das geht, weil die Lautsprecher schon bestens eingespielt sind. Nein, das macht auch so richtig Laune. Sehnig, schön ausgedehnt blubbern die Bässe, die Synthies wabern griffig durch den Raum, das klingt einfach grandios und ich bin wieder drin im Rosso Fiorentino Klang. Wie beschreibe ich den? Unglaublich authentisch und selbstverständlich mit warmen, offenen, schmeichelnden Mitten und einem sehr souveränen Bass. Gerade bei Trentemöller zeigen sie auch ihre Fähigkeit, einen riesigen, aber immer glaubhaften Raum aufzuspannen. Weiter geht’s mit Jarvis Locker und Chilly Gonzales und ihrem Kultalbum „Room 29“. Ich kann einfach nur grinsen, denn wie sexy singt mich Cocker denn da an? Ich sehe ihn förmlich auf einem dieser plüschigen Betten im Chateau Marmont Hotel in Hollywood sitzen, das mit seinen Bewohnern Inspirationsquelle für dieses Album war. Aus der Mitte drückt sein Bariton aus den Rossos, während Chilly Gonzales sein Tastengenie perlen lässt: ich liebe es. Deshalb lasse ich mir den vielleicht berühmtesten Schlagzeugeinsatz der Rockgeschichte von John Bonham auf „Stairway to Heaven“ auch noch in den Magen knallen und spiele Stromgitarre zu Jimmy Pages Hammersolo. Ich fühle mich, als wäre ich 1972, als Led Zeppelin auf dem Höhepunkt ihres Könnens war, live dabei.

Fazit

Meine erste Begegnung mit einem Rosso Fiorentino Lautsprecher hat einen starken Eindruck bei mir hinterlassen. Die Certaldo S2 macht daraus eine Liebesbeziehung. Aber hören Sie sich diese toskanischen Schallwandler bitte selbst an.