Lautsprechergehäuse aus Holz? Gibt es bei Progressive Audio schon lange nicht mehr. Kompaktboxen? Gab es noch nie. Bis jetzt
Mitspieler
Plattenspieler:
Transrotor Fat Bob / Reed 3p
Tonabnehmer:
Lyra Atlas, Lyra Etna
Phonovorstufen:
MalValve preamp three phono
EAT E-Glo
Vorstufen:
MalValve preamp four line
Rowland Capri II
Endstufen:
D’Agostino Momentum Stereo
Zubehör:
Netzsynthesizer PS Audio P10
NF-Kabel von van den Hul und Transparent
Phonokabel van den Hul
Lautsprecherkabel von Transparent
Plattenwaschmaschine von Clearaudio
Mitspieler
Lautsprecher:
Klang + Ton Nada
Audio Physic Avantera
Ralf Koenen und kleine Lautsprecher – das ging bislang nicht besonders gut zusammen. Der Mann ist leidenschaftlicher Klassikhörer, und für eine überzeugende Darstellung dieses musikalischen Genres braucht es einfach gewisse dynamische Fähigkeiten.
Wie bei uns zuletzt das bis dato kleinste Modell, die Elise 2, eindrucksvoll unter Beweis stellte. Die machte nämlich richtig tiefe Töne und konnte trotz zierlicher Statur mit Großorchestralem ausgezeichnet umgehen. Auf diesen Aspekt angesprochen, lächelt der Entwickler nicht ohne Stolz und fordert zum Ausprobieren auf. Soll er haben, der Mann. Aber worum geht’s hier eigentlich? Was genau hat Progressive Audio denn da gebaut? Einen sehr schlichten, kompakten Lautsprecher namens „Extreme 1“. Das erste Modell in der fast zwanzigjährigen Historie des Herstellers, das nicht als vollwertiger Standlautsprecher konzipiert ist. Was auch Folgen für den Preis hat: Die Liste weist 3.998 Euro fürs Paar aus, und das ist erheblich weniger als das, was es bei Herrn Koenen normalerweise zu investieren gilt. Ein wenig täuscht die schlanke und klare Anmutung des Gehäuses: Netto stecken da immer noch über 20 Liter drin, und damit lässt sich in Sachen Tiefgang durchaus schon etwas anstellen. Schon vor vielen Jahren hat man in Essen dem Werkstoff Holz für die Lautsprechergehäuse vollumfänglich abgeschworen: Man baut aus Acryl. Das Dämpfungsverhalten soll viel günstiger sein, der Prozess des Lackierens wird überflüssig und Kratzer bekommt man mit Schleifen und Polieren wieder weg. Für die Verarbeitung braucht’s aber einen qualifizierten Fachbetrieb, nur der bekommt die Gehäuse so makellos und ohne sichtbare Stoßkanten hin wie hier. Auf der Rückseite sieht man’s dank der eingelassenen Rückwand: Zehn Millimeter Wandstärke sind genug für die Extreme 1, bei der Gehäusefarbe hat man die Wahl zwischen Schwarz und Weiß. Wo wir schon mal auf der Rückseite sind: Hier hilft eine Reflexöffnung dem Tiefton auf die Sprünge, darunter sitzt ein Kippschalter zur sanften Anpassung des Hochtonbereiches; sein Pegel lässt sich bei Bedarf um ein Dezibel anheben. Auffällig zeigt sich das Anschlussterminal: Kabel dürfen nämlich an edlen Furutech- Polklemmen andocken. Fürs Produzieren der Töne ist nur ein einziger Treiber zuständig. Allerdings täuscht der Anschein ein wenig, denn der Hochtöner steckt im Zentrum des sechzehn Zentimeter durchmessenden Wandlers aus Skandinavien. Dieser Koaxiallautsprecher ist ein schönes Stück Hightech und einer der ganz wenigen seiner Art, die das musikalische Spektrum wirklich komplett abdecken können. Für die tiefen Töne ist eine leichte und steife Magnesiummembran zuständig, die von einer 39 Millimeter durchmessenden Schwingspule angetrieben wird. Das System schafft gewaltige 14 Millimeter linearen Hub und deshalb kann es durchaus nennenswerte Pegel erzeugen. Im Zentrum steckt eine beschichtete Gewebekalotte, die tief ankoppelbar und ebenfalls hoch belastbar ist. In dem Treiber steckt eine ganze Reihe cleverer Detaillösungen deren Sinn darin besteht, die Belastbarkeit rauf und die Verzerrungen runter zu bekommen – mit Erfolg. Das Zeitverhalten von Lautsprechern ist das A und O bei Progressive Audio. Für dessen Koordination ist eine Weiche mit 18 Dezibel Flankensteilheit zuständig, fein säuberlich auf einer doppelseitigen Platine aufgebaut. Die Box ist impedanzlinearisiert, aber trickreich direkt an den Filtern und nicht, wie üblich, mit einem vorgeschalteten Über-Alles-Filter. Diese Form des Energiespeichers scheut Koenen wie der Teufel das Weihwasser und offensichtlich hat er’s auch ohne das hinbekommen. Das Gehäuse ist innen verstrebt und sparsam gedämmt; wer nach versteckten Wundermitteln sucht, wird das vergeblich tun. In Sachen Ansteuerung zeigte sich der Lautsprecher zudem genügsam: 20 Watt sind mehr als genug und die dürfen gerne auch von einer Röhre stammen. Aufstellung? Klassisches gleichseitiges Dreieck mit nicht zu viel Anwinkelung auf den Hörplatz, so kenne ich das von Progressive Audio. Und siehe da: Ralf Koenen hat nicht zu viel versprochen (was schon nach meiner ersten Begegnung mit der Box unter Messebedingungen eigentlich klar war): Die Extreme 1 ist auf ihre Art tatsächlich ein extremer Lautsprecher. Sie versucht nämlich sehr erfolgreich, ein echter Fullrange-Wandler zu sein. Kitzeln wir die kleine weiße Schönheit zunächst mit Malia und Boris Blank: Mein Gesicht zu Beginn von „I Feel It Like You“ möchte ich selbst nicht gesehen haben, ich muss nämlich ziemlich blöd aus der Wäsche geguckt haben. Gewiss, die Scheibe ist in den tiefen Lagen kein Kind von Traurigkeit, aber die Box nimmt die Einladung mit Freuden an und stellt den synthetisch erzeugten Unterbau mit Nachdruck und Autorität in den Raum. Jawohl, Autorität: Das ist kein müder Abklatsch von Basswiedergabe, das verdient sich diese Bezeichnung ganz locker. Endlich ist also der Hersteller gefunden, der die Physik ausgetrickst hat? Aber nicht doch. Der Trick besteht selbstverständlich darin, eine glaubhafte Illusion zu erzeugen, und das ist hier ausgezeichnet gelungen. „Hey Now“ von London Grammar füllt unseren reichlich großen Hörraum absolut überzeugend, und das bei nicht eben geringen Pegeln. Und das von einem sechzehner Treiber? Absolut erstaunlich. Das entgegengesetzte Ende des Spektrums macht gleichermaßen Freude: Ausdrucksstark, gut durchgezeichnet, aber nicht übertrieben. Zwischendurch glaube ich eine Zeitlang dem Wahnsinn anheimzufallen, weil ich an allen Ecken und Enden Verzerrungen höre. Der Austausch von Tonabnehmer, Phonovorstufe brachte mich diesbezüglich keinen Schritt weiter und ich begann, den Lautsprecher zu verdächtigen: Zu Unrecht, wie sich herausstellte – tatsächlich habe ich das Kunststück fertiggebracht, nacheinander drei Titel zu erwischen, die sich diesbezüglich allesamt „danebenbenehmen“. Das Erstaunliche daran: Die Extreme 1 haut einem das Problem ziemlich ungeniert um die Ohren, während andere Wandler hier deutlich gnädiger sind. Wir lauschen Patricia Barber, so schwer es überdosierungsbedingt auch ist: Das Kontrabass-Intro von „Use Me“ lässt keine Zweifel daran, dass verzerrungsmäßig alles in bester Ordnung ist, mein Seelenfrieden wieder hergestellt und die Extreme 1 auch hier Anreißen und Ausklingen der Saiten höchst überzeugend darstellt. Das Beste aber kommt noch: Was die beiden Kistchen an Raumdarstellung offerieren, das ist ziemlich ungeheuerlich und ein überzeugendes Argument für die Schallabstrahlung von einem Punkt aus. Ob ganz vorne beim Zuhörer oder ganz weit hinten, die Acryl-Schätzchen zaubern absolut überzeugende Raumillusionen. Breite? Kann ich nicht genau sagen. Das kommt auf die Aufnahme an. Die Lautsprecher jedenfalls sind nicht zu orten. Wenn Frau Barber sich ihren verdienten Applaus abholt, erschrickt man unweigerlich: Da war es also, das Publikum. Perfekt von der Bühne separiert. Zählen Sie auch zu den Leuten, die kompakte Boxen immer ein bisschen belächeln? Dann empfehle ich dringend eine Begegnung mit diesen Ausnahmewandlern. Es wird Sie nicht davon überzeugen, dass 15-Zoll-Bässe überflüssig sind, aber ein anerkennendes Nicken wird diese Box auch Ihnen abringen, versprochen.
Fazit
Kompliment an den Koch: Die Zutaten lassen nur bedingt vermuten, dass sich hier ein so exzellentes Ergebnis einstellt. Die Progressive Audio Extreme 1 schafft zwei Kunststücke: Sie klingt wie ein großer Lautsprecher und zaubert eine fantastische Raumabbildung. In diesem Format und zu diesem Preis? Herausragend!